Irgendetwas hat diesen schweigsamen Mann, der einsam in Kneipen hockt, auf eindeutige Angebote nicht eingeht und aus banalen Anlässen heraus Schlägereien beginnt, kaputtgemacht. Rückblicke zeigen ihn als fröhlichen Familienvater. Doch davon ist in der Gegenwart nichts mehr zu sehen. Ein Anruf holt ihn in seine Heimatstadt zurück: Sein Bruder ist gestorben und hinterlässt einen 16-jährigen Sohn. Lee (grandios: Casey Affleck) soll sich nun um Patrick (ebenbürtig: Lucas Hedges) kümmern – so hat es der Verstorbene gewollt. Das jedoch erfährt Lee erst nach dessen Tod. In der zentralen Szene des Films, brillant zusammengeschnitten von Jennifer Lame, kommen all die quälenden Erinnerungen wieder hoch. Während Lee mit sich ringt, die Unterschrift unter die alleinige Vormundschaft für Patrick zu setzen, wirkt es fast so, als kämpften die herzzerreißenden Flashbacks gegen ihn an. Die endgültige Entscheidung wird bis zum Schluss von Manchester by the Sea auf sich warten lassen. Sie hängt maßgeblich davon ab, ob Lee bereit ist, in diese Stadt, in der er täglich an den Schmerz erinnert wird, zurückzukehren. Autor-Regisseur Kenneth Lonergan („Margaret“, „You Can Count on Me“) interessiert sich nicht für die üblichen Konflikte zwischen Pubertierendem und Vaterfigur. Seine Charaktere begegnen sich nahezu auf Augenhöhe. Auch muss Lee nicht beweisen, dass er ein guter Vater sein kann – das hat er schließlich bereits getan. Im Mittelpunkt steht vor allem die Frage, wer die besseren Argumente in Sachen Wohnort auf seiner Seite hat, denn Patrick möchte auf keinen Fall wegziehen. Trotz aller Schwere reichert Lonergan diese mühevollen „Verhandlungen“ mit erstaunlich viel Humor an. Doch eines ist auch klar: Ein Happy End kann es nicht geben. Dafür wiegen die Verluste einfach zu schwer.
Filmplakat: Universal