Golden Time

Manchmal lernen wir eine neue Serie, Filmreihe, ein neues Genre oder einen kleinen Indiefilm kennen und merken, dass etwas in der Luft liegt. Dieses neue Ding ist in unser Leben getreten und plötzlich sieht die Welt der Unterhaltung ein bisschen anders aus. Dieses Etwas ist für sich auf seine Weise irgendwie ideal und lässt uns schlicht über kleine Fehler hinwegsehen. Wir sind am Haken, können und wollen uns nicht mehr davon trennen. Wir sind wie frisch verliebt. Diese gewogene Briefkritik – dieser Liebesbrief – gilt der Animationsserie Golden Time.

Liebes Golden Time,

wo kamst du plötzlich her, mit Kōko und Banri, mit ihren lebensmunteren Collegefreunden Chinami und 2D-Kun, mit der einlullenden Musik und den weichen Bildern, mit der immer wieder himmelschreienden Komik und den behutsam erzählten Herzschmerzmomenten. Noch nie bin ich einer Anime-Serie wie dir begegnet. Dass du etwas ganz Besonderes bist, wusste ich von der ersten Folge an, in der der frischgebackene Student Tada Banri – Familienname Tada – den ersten Tag an seiner Universität in Tokyo erlebt, spontan Freundschaft mit Yanagisawa Mitsuo schließt und dessen leicht durchgedrehte Freundin Kaga Kōko kennenlernt. Kōko und Mitsuo kennen sich von Kindesbein an, stammen beide von reichen Familien aus derselben Nachbarschaft ab und scheinen füreinander bestimmt zu sein – so zumindest sieht Kōko die Sache. Mitsuo aber will nichts, als endlich von der allzu besitzergreifenden Kōko loszukommen. Banri versucht für seinen neuen Kumpel da zu sein, muss sich selbst jedoch eingestehen, dass ihm in Kōkos Nähe Schmetterlinge durch den Bauch fliegen. Und als sei diese Situation für seinen Start ins Studium nicht schon verzwickt genug, droht Banris Vergangenheit aus den Windungen vergessen geglaubter Erinnerungen wieder hervor und ans Tageslicht zu kommen …

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Banri erlebt, wie Kōko den abtrünnigen Mitsuo begrüßt.

Ach, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und aufhören soll, von deinen Charakteren zu schwärmen. Von der stillen Linda, die nicht weiß, ob sie sich für den heutigen Banri nach dem Unfall und dem Gedächtnisverlust freuen oder dem alten Banri nachtrauern soll. Oder Mitsuo, der trotz seines guten Aussehens kein Selbstvertrauen und nur Pech mit dem weiblichen Geschlecht hat. Oder die in Fotografie versessene, etwas kindlich wirkende Oka Chinami mit der großen Seele. Oder Takaja Sato, den alle freundschaftlich 2D-kun nennen, weil er mit Menschen außerhalb von Videospielen eigentlich nie viel anfangen konnte. Oder Nana, die Gothic-Punkerin mit dem leicht erregbaren Temperament. Oder die eitle Kōko, die versucht ihren Kontrollzwang abzubauen und endlich auch ein Leben für sich zu führen, nicht nur für andere.

Innerhalb weniger Tage schaute ich alle Episoden, die es bislang von dir zu sehen gab, und freue mich seitdem jede Woche wieder auf die nächste neue Folge. Wo andere Leute dich vielleicht missverstehen und als nur eine Rom-Com-Anime-Serie unter vielen abtun würden, blicke ich hinter die Oberfläche. Ich sehe, dass deine Romantik und dein Humor kein sentimentaler Kitsch sind, sondern auf den Schultern von absolut liebenswerten, aber mit beträchtlichen Schwächen und Fehlern ausgestatteten Charakteren ruhen, die ihren Weg im Leben erst noch finden müssen, an sich zweifeln und hadern, aber immer nach einem hoffnungsvollen Strohhalm greifen. Du hast mir eine Tür im Medium gezeigt, von der ich kaum geahnt hatte, dass sie existieren mochte. Ich glaube, es war Liebe auf den ersten Blick.

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Der für seine wilden Partys berüchtigte Tea-Club „lädt“ Banri zum Feiern ein.

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