Während ich diese Zeilen schreibe, belegt die neunte Folge der sechsten Staffel von Game of Thrones im IMDb-User-Ranking den ersten Platz – mit durchschnittlich 10,0 von 10,0 Punkten. Diese Bewertung wird sich wohl nicht mehr ändern. Zweifelsfrei handelt es sich bei „Battle of the Bastards“ um die bis dato beste Folge der gesamten Serie. Ob Red Wedding, der Mord an King Joffrey oder die Konfrontation mit den White Walkers am Ende der fünften Staffel – großartige Mammutszenen hatte die Serie schon zur Genüge. Doch nie zuvor war eine komplette Episode so unfassbar gut. Dies allein mit der großen, langerwarteten Schlacht um Winterfell zu erklären, greift zu kurz. Auch um King’s Landing wurde am Ende der zweiten Staffel ähnlich erbittert gekämpft. Die Intensität von „Battle of the Bastards“ erreichte „Blackwater“ jedoch nicht annähernd.
Wichtig ist zunächst die Fokussierung auf zwei Schauplätze: Neben Winterfell ist dies Meereen. Nach der grandiosen vierten Staffel hatte „Game of Thrones“ wieder einmal stark mit den ständigen Ortswechseln zu kämpfen. Eine wirklich mitreißende Dramaturgie ergab sich deswegen selten. Eher machte sich seit dem vergangenen Jahr das Gefühl breit, dass es keine nennenswerten Entwicklungen mehr gibt – beispielhaft genannt seien hierbei die Reise von Arya Stark und das Festsitzen von Daenerys Targaryen in Meereen. Umso schöner deshalb, dass die aktuelle Folge in den ersten zehn Minuten offenbar einen Schlussstrich unter diesen Abschnitt der Reise zieht. Dany hat ihre Drachen, Soldaten und Schiffe beisammen und kann nun endlich Richtung King’s Landing segeln.
Gleichzeitig setzt die zehnminütige Schlacht um Meereen aber auch einen interessanten Kontrastpunkt zum folgenden Geschehen: Während hier fast ohne sichtbares Blutvergießen, mit phantastischen Elementen und weitgehend im Fernkampf agiert wird und die Verhandlungen am Rande in fast schon entspannter Atmosphäre ablaufen, gibt es nahe Winterfell nur Hass, Verachtung, Qualen und den Tod im direkten Angesicht des Gegenüber.
An beiden Schauplätzen präsentiert „Game of Thrones“ endlich wieder jene pointierten Dialoge, die in den vergangenen zwei Jahren nur äußerst selten zu hören waren. Jeder Satz hat seine Wirkung – sei es beim Zuschauer oder beim fiktiven Adressaten innerhalb des Serienuniversums. Zudem besticht diese Episode mit unzähligen wunderschönen Kameraeinstellungen und -fahrten sowie Bild- und Farbkompositionen: zum Beispiel die wuchtige Landung des Drachen neben Dany oder der vor einem beißend-roten Himmel stehende Davos Seaworth, wobei die Farbe wohl sinnbildlich für die Flammen steht, in denen seine kleine Freundin vor gut einem Jahr ums Leben kam.
Die eigentliche Schlacht setzt neue Maßstäbe – mindestens für das Medium Fernsehen, vielleicht sogar darüber hinaus. Minutenlang herrscht nichts als Stille. Wir sehen die teils ärmlich ausgestattete Armee von Jon Snow und anschließend die klaren Reihen und Anordnungen in der scheinbar übermächtigen Gegnerschaft des Ramsay Bolton. Die am Ende vergebliche Flucht von Rickon Stark ist an Perfidie und Hochspannung nicht zu überbieten. Was folgt, ist ein Bilderrausch, den man im Kino lange nicht mehr und im Fernsehen wohl noch nie gesehen hat. Die in Zeitlupe auf den einsamen Jon Snow zureitende Phalanx der Pferde wirkt fast wie ein Gemälde. Es überrascht nicht, dass es ebenfalls Regisseur Miguel Sapochnik war, der in „Hardhome“ den finalen Gänsehautmoment mit dem davonsegelnden Jon Snow und den drohenden und auferstehenden White Walkers inszenierte. Doch auch die eigentliche Schlacht ist voller denkwürdiger Momente: die lange Sequenz ohne sichtbaren Schnitt, das stets fulminante Treiben im Vorder- und Hintergrund, die zunächst beeindruckende Taktik von Ramsay Bolton. Der Kampf ist optisch brillant umgesetzt. Aber er ist auch noch etwas anderes.
Regisseur Sapochnik nimmt dem Krieg jeden Glamour. In den vergangenen 58 „Game of Thrones“-Folgen hatte das Sterben mitunter etwas Ironisches, manchmal auch etwas Heldenhaftes. Diesmal reduziert es sich auf den Akt an sich. Und der hat nichts Ironisches, nichts Heldenhaftes. Auf Bergen von Leichen entstehen neue Leichen. Der Held droht zwischenzeitlich sogar darin zu ersticken. Dieses schnörkellose Gemetzel ist durchaus ein Ausdruck von Reife, der sich zudem noch in einem weiteren Punkt zeigt. Überspitzt formuliert war diese Folge ein feministischer Großangriff. In Meereen sind es zwei Frauen, die per Handschlag die zukünftige Weltordnung vereinbaren und dabei die Prinzipien von Menschlichkeit an vorderste Stelle rücken. Und bei der Schlacht um Winterfell ist es Sansa Stark, die dem Kampf die entscheidende Wendung gibt. Bringt man noch machtbewusste weibliche Charaktere wie Cersei Lannister, Arya Stark, Olenna Tyrell und Ellaria Sand ins Spiel, scheint es gut möglich, dass die entscheidenden Protagonisten am Ende Frauen sein werden. Danach sah es zu Beginn der Serie wirklich nicht aus.
Einen schönen Bogen zu den Anfängen der Serie schlägt auch die letzte Szene dieser Folge. Letztmals wirklich glücklich sah man Sansa Stark ganz am Anfang, als sie noch von der anstehenden Traumhochzeit mit Joffrey schwärmte. Danach geriet sie in einen beispiellosen Strudel von Schmerz und Demütigung. Es ist makaber, aber das brutale Ableben ihres Peinigers am Ende der Folge dürfte ihr – kaum dass sie zurück in Winterfell ist – einen der größten Glücksmomente seit ihrer Kindheit verschafft haben. Die Ähnlichkeiten mit der Vergewaltigung in der fünften Staffel sind offensichtlich: Während damals lediglich das Gesicht von Theon Greyjoy Zeugnis vom widerlichen Geschehen abgab, ist es diesmal das starre Gesicht von Sansa, das fast ausschließlich zu sehen ist, während sich im Hintergrund die Tiere über ihr Opfer hermachen. Während Theon dazu gezwungen wurde, nicht wegzusehen, entschließt sich Sansa bewusst dafür, den Blick nicht abzuwenden. Auch das soll die Stärke dieses wohl lange Zeit unterschätzten Charakters unterstreichen.
Kaum eine der 60 Minuten vergeht, ohne dass irgendetwas Spannendes darin zu entdecken wäre: Verweise auf bisherige Ereignisse, wunderschöne Bildkompositionen, aufwendige Choreographien, und so weiter. Als Gesamtkunstwert stellt „Battle of the Bastards“ den vorläufigen Höhepunkt dieser Serie dar, nicht nur weil die Folge an sich hervorragend geschrieben, gespielt, gefilmt und inszeniert ist, sondern auch weil sie unnötige Komplexität reduziert und die Serie in die womöglich finale Phase (mit angeblich nur noch 15 weiteren Episoden) eintreten lässt. Von nun an scheint wieder alles möglich.
Plakat: HBO