Es ist ein mächtig bedeutungsschwangerer, mysteriöser Titel: Leviathan. Es ist der Name einer mythologischen Urgewalt, einer monströsen Meereskreatur in der Bibel, eine Schlange oder ein Krokodil oder ein Wal. Und in etwas neuerer Wendung: Die Metapher für die unüberwindbare Macht des Staates, der gleich einem Ungeheuer über dem Volk wacht, obgleich es doch von ihm geschaffen wurde. Andrey Zvyagintsevs Film „Leviathan“ nutzt einige klare, trostlose und geradezu malerische Bilder, um die Metapher zum Leben zu erwecken. Die russische Staatsmacht der Gemeinde Kirowsk gleicht einer ungeheuerlichen Naturgewalt, als sie kommt, um Nikolai Sergejew (Alexej Serebrjakow) und seiner Familie das eigene Land an der Küste der Barentsee zu rauben. Ganz legal. Doch nicht nur der korrupte und skrupellose Bürgermeister (Roman Madyanov) fällt über Nikolas Existenz her wie eine biblische Plage: Auch seine Frau Lilia (Jelena Ljadowa) und sein Rechtsanwalt/Bruder Dimitri (Wladimir Wladimirowitsch Wdowitschenkow) machen Nikolas Leben unfreiwillig unerträglicher. Hoffnung ist rar gesät in dieser verkümmernden, von Armut, Korruption und Orthodoxie gestraften Welt. Doch obgleich die Kamera beeindruckend starke Bilder einzufangen weiß, leidet sie zusehends unter der Trägheit ihrer eigenen Melancholie. Die stark dargestellten Protagonisten verkörpern interessant ausgearbeitete Variationen auf tragische Archetypen, verlieren sich jedoch unter der Ziellosigkeit und indifferenten Proportionierung der Handlung. „Leviathan“ ist ein tiefsinniger, ambitionierter und ermüdender Film, der sich einfach nicht genug um die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu scheren scheint und wahrscheinlich unendlich besser hätte werden können, wenn im Schnittraum – oder noch besser, beim Drehbuch – monströse Brocken weggekürzt worden wären.
Filmplakat: Wild Bunch Germany