Selten hat die Formel „Der richtige Film zur richtigen Zeit“ so gut gepasst wie hier. Das zeitgeschichtliche Drama Wir sind jung. Wir sind stark. von Regisseur Burhan Qurbani widmet sich den Geschehnissen im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Tagelang griffen Jugendliche, Neonazis und Menschen, die ein paar Wochen zuvor vielleicht noch „besorgte Bürger“ waren, unter dem Applaus tausender Schaulustiger und bei teilweise völliger Abwesenheit der Polizei ein Flüchtlingsheim an und bescherten der deutschen Nachkriegsgeschichte eines ihrer dunkelsten Kapitel. Auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen flogen Molotowcocktails auf und in das „Sonnenblumenhaus“ und Leute, die zu allem bereit waren, stürmten hinein. Dass am Ende niemand dabei ums Leben kam, ist nur ein schwacher Trost. Die Politik reagierte, indem sie mit dem „Asylkompromiss“ das Grundgesetz aushebelte (Prinzip der vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten, dazu Verschlechterung der Lebensbedingungen für hier lebende Geflüchtete). Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl behauptete im Anschluss an die Ereignisse in Rostock allen Ernstes, dass die Stasi dahinter steckte. Ein echter Kanzler der Einheit eben. Das alles liegt 20 Jahre zurück. Und ich bin wahrlich nicht der Einzige, der sich darum sorgt, dass aus der Geschichte nicht die richtigen Lehren gezogen wurden. Wieder werden massiv Flüchtlingsheime attackiert, dazu verbreiten Parteien und Bewegungen wie AfD und Pegida (plus Ableger) eine antiislamische, asylfeindliche Stimmung im Land – da können sie auch noch so oft das Gegenteil behaupten. „Wir sind jung. Wir sind stark.“ ist nicht nur deshalb wichtig und gut, weil er auf die Ereignisse von damals einen Blick wirft, sondern weil er auch als Film an sich überzeugt. Er hat starke, authentische Charaktere, er moralisiert nicht, sondern versucht sich in seine Figuren (Täter, Opfer, Politiker) und ihre Motive hineinzufühlen, und er ist handwerklich (pulsierender Soundtrack, dynamische Kamera, atmosphärisches Schwarz-Weiß) astrein umgesetzt. Dass er am Ende ein bisschen zu sehr nach Effekten hascht – schade, aber verkraftbar. „Wir sind jung. Wir sind stark.“ ist der wichtigste Kinofilm dieses Monats.
Filmplakat: Zorro